Der Morgen ist still. Eigentlich bin ich es kaum mehr gewohnt in solch ruhiger Umgebung am Morgen zu verweilen. Nur das gelegentliche Knirschen des Schnees unter meinen Füßen durchbricht die morgendliche Ruhe im Crystal-Garten. Der Mantel wird etwas enger geschnürt, während der Blick über den Garten des Crystals wandert. Eiskristalle an den Ästen schimmern in der tief stehenden Wintersonne, die meinen Blick in ein sanftes, goldenes Licht taucht.
Ich atme. Tief ein. Tief aus. Die Luft ist klar und ich spüre, wie sie mich durchströmt.
Schritt für Schritt, ziele ich der Morgensonne entgegen.
Doch- ein leises, dumpfes Knarren lässt mich aufhören. Ein schwer mit Schnee beladender Ast biegt sich unter der Last.
Unwillkürlich muss ich an meine eigenen Schultern denken. Wie eine Erinnerung. All die Gedanken bewähren sich als treue Begleiter in jeder Lebenslage. Wer kennt’s?
Termine, Erwartungen, ein ständiges "sollen und müssen?"
So oft fühlen wir uns unbewusst wie dieser Ast – belastet, oft ohne einen Moment innezuhalten. Doch genau in diesen Situationen, haben wir die Möglichkeit kurz in uns zu kehren, an denen wir aufgestautes Gewicht abschütteln, uns neu ausrichten und erden.
Februar. Ich stehe am Naturteich. Mein Moment mit mir.
Die dünne Eisschicht an den Rändern glitzert in der Sonne. Mein Herz klopft schneller. Aufkommende Gedanken, die mich zurückhalten, zu versuchen, gebe ich keine Acht aus, denn mein Verstand bietet tausend Gründe, umzukehren.
Doch ich bin hier, ganz in diesem Moment.
Ich atme tief ein und setze Schritt für Schritt in das Wasser. Mein Atem ist mein bester Lehrer. Er fordert die Präsenz, mit sich selbst, ganz im Hier und Jetzt zu sein.
Äußerliche Einflüsse sind ab diesem Zeitpunkt irrelevant, das, was zählt ist im Hier und Jetzt, voller Achtsamkeit und Respekt.
Allein durch diese Wirkung gelingt es uns, den Geist zu beruhigen und an maximaler Klarheit zu gewinnen. Gedanken, die sich vorher, wie ein endloser Strom von to- do Listen und Sorgen in meinem Kopf gedreht haben, sind plötzlich verstummt. Nur noch im Hier und Jetzt. Die Kälte, welche eben noch bedrohlich war, lässt mich lebendig fühlen. Der Körper kribbelt, das Herz schlägt kräftiger, als würde es sich selbst an die Kraft erinnern, die schon immer in mir war.
Kennst du das Gefühl?
Über mir strahlt die Wintersonne. Sie steht tief und doch trägt sie Stärke. Ihre Strahlen spiegeln sich auf der Wasseroberfläche, streifen mein Gesicht und durchbrechen die Schwere des Winters.
Und ich denke: Vielleicht sind wir die Sonne. Auch wenn wir manchmal tief stehen, auch wenn manche Tage dunkler erscheinen- wir tragen immer unser wahres Potenzial in uns.
Schmunzelnd steige ich aus dem Wasser. Der Schnee unter meinen Füßen fühlt sich nicht mehr kalt an, sondern belebt in jedem Sinne. Die Wärme meines Körpers schenkt mir wieder ein Ankommen bei mir selbst. Umhüllt in weicher Decke schaue ich zurück auf das Wasser.
show less Der Ast über mir knarrt noch immer, jedoch sind ein paar Schneebrocken hinabgefallen. Genau, wie von meinen Schultern.
Ich weiß, ich werde es wieder tun.
